Ein Gastbeitrag von Bernadette Hörner
Sport trägt außerordentlich viel zu einem gesunden, erfüllten Leben bei – und oft hören Eltern den Rat, dass Bewegung bereits in das frühe Kindesalter integriert werden sollte, da später ein Leben lang von den erworbenen sportlichen Fähigkeiten gezehrt wird.
In meiner Praxis als Fitness-Trainerin äußern Mütter und Väter aber immer wieder Bedenken: Was kann ich meinem Kind zumuten? Ist intensiver Sport nicht schlecht für die körperliche Entwicklung?
In diesem Beitrag möchte ich mit Mythen aufräumen und auf den aktuellen Wissens-Stand zu Ausdauertraining für Kinder eingehen.
Überanstrenge dich nicht, Kind!
Über Ausdauerbelastungen im Kindesalter kursieren, genau wie über Krafttraining im Kindesalter, noch immer sehr viele Halbwahrheiten und Volksweisheiten. Diese sind aus sportwissenschaftlicher Sicht aber schon längst überholt. Jeder von uns (besonders Mädchen und Frauen) kennt bestimmt den Satz „…aber überanstrenge dich nicht, Kind!“.
Diese Bitte geht uns als Kind zwar sowieso bei einem Ohr hinein und beim anderen wieder heraus, aber sie fasst die Ansichten über das kindliche Herz-Kreislauf-System gut zusammen: Es ist empfindlich und bei weitem nicht so leistungsfähig wie das eines Erwachsenen. Zum Glück wurde diese Vermutung im Laufe der letzten Jahrzehnte schon von sehr vielen Studien widerlegt.
Skelettmuskeln ermüden vor dem Herzmuskel
Zu allererst einmal folgendes: Bei Kindern ermüden die Skelettmuskeln auf jeden Fall vor dem Herzmuskel. Die Befürchtung eines Zusammenbruchs aufgrund von Überanstrengung ist also so gut wie unbegründet!
Einer der Hauptgründe für die Annahme, dass das kindliche Herz-Kreislauf-System nicht so leistungsfähig ist wie das eines Erwachsenen, beruht schlichtweg auf dem direkten Vergleich. Erwachsene bringen, wie wir alle wissen, bessere Leistungen als Kinder. Vergleicht man jedoch die individuellen Leistungsvoraussetzungen, ergibt sich ein differenziertes Bild.
Physiologische Unterschiede zwischen Erwachsenen und Kindern
Kinder-Körper haben andere Proportionen als jene von Erwachsenen. Vor allem die Extremitäten sind absolut gesehen kürzer im Vergleich zur Rumpflänge. Bei einem Säugling beträgt die Beinlänge nur ca. 33% der Gesamtkörperlänge, bei Sechsjährigen schon ca. 45% und bei einem Erwachsenen 50%.
Selbst wenn die relativen Beinlängen bei Schulkindern und Erwachsenen schon fast gleich sind, so ist die absolute Beinlänge dennoch äußerst unterschiedlich. Lässt man einen Erwachsenen und ein Kind jeweils eine bestimmte Strecke gleich schnell laufen, so wird das Kind natürlich wesentlich mehr außer Atem sein, weil es durch die kürzeren Beine mehr und schnellere Schritte machen muss um die Geschwindigkeit zu erreichen.
Logisch also, dass die Belastung für das Kind auch höher ist. Man kann demnach nicht so einfach den direkten Vergleich zwischen Erwachsenen und Kindern zur Beurteilung der Ausdauer-Leistungsfähigkeit hernehmen.
Aerobe Ausdauer bei Kindern sehr gut ausgeprägt
Ein wichtiger Parameter für die aerobe Ausdauerleistung ist die maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max). Sie gibt an, wieviele Milliliter Sauerstoff der Körper im Zustand der Belastung maximal pro Minute verwerten kann. Damit das Ganze noch Aussagekräftiger wird, kann man diesen Wert auch auf das Körpergewicht relativieren.
Interessanterweise erreicht man die Spitzenwerte dieser relativen maximalen Sauerstoffaufnahme irgendwo zwischen 10 und 20 Jahren. Danach fällt sie kontinuierlich ab. Kinder haben unter diesem Aspekt also sogar bessere Voraussetzungen für Ausdauerleistungen als Erwachsene.
Anaerobe Ausdauer bei Kindern schlechter ausgeprägt
Im Bereich der anaeroben Ausdauer ist der kindliche Körper dem des Erwachsenen jedoch physiologisch unterlegen. Bei dieser Art der Energiegewinnung entsteht als (vorübergehendes) Endprodukt Milchsäure (Laktat), das im Blut und im Muskel gespeichert werden muss.
Die Speicherkapazität ist natürlich nicht unendlich, denn da es sich um eine Säure handelt, wird das Milieu im Muskel immer saurer bis die energieliefernden Prozesse nicht mehr stattfinden können. Das ist genau der Punkt, an dem uns nach einem Sprint die Oberschenkel brennen und wir einfach nicht mehr weiterlaufen können.
Kinder haben nun eine viel geringere Laktattoleranz im Muskel bzw. im Blut: Derzeit liegen die maximalen Laktatwerte bei trainierten Kindern bei ca. 6-10 mmol / l Blut, bei Erwachsenen bei 20 – 24 mmol / l Blut.
Dazu kommt, dass der kindliche Körper aus mehreren Gründen auch noch früher auf die anaerobe Energiegewinnung umstellt als der eines Erwachsenen.
Richtlinien für Ausdauertraining für Kinder
Beide Ausdauer-Arten sind bei Kindern jedoch sehr gut trainierbar, wesentlich besser als z.B. Kraft oder Schnelligkeit. Einige Punkte sollten dennoch berücksichtigt werden:
Aerobe Ausdauer:
- Richtlinie für Belastungszeit: Lebensalter x 1,5 Minuten
- Belastungshöhe: Puls ca. 180 minus Lebensalter
- Bewusst langsames Anfangstempo (Bewegungsdrang der Kinder!)
- Bewegungsmonotonie durch Spiele oder koordinative Aufgaben verhindern
- Direkter Leistungsvergleich sollte vermieden werden
- Individuelle Anpassung der Belastung
Anaerobe Ausdauer:
- Belastungsdauer: ca. 10 bis 30 Sekunden
- Ausreichende Pausen
Ist Ausdauertraining im Kindesalter nun bedenklich?
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Ausdauerbelastungen für Kinder keine gesundheitlichen Gefahren bergen. Die Tatsache, dass der Skelettmuskel vor dem Herzmuskel ermüdet, bedeutet eine weitgehende Sicherung.
Dennoch ist darauf zu achten, dass ein systematischer Aufbau der Ausdauerbelastungen erfolgen soll. Am ehesten ist Vorsicht geboten bei maximalen anaeroben Belastungen, die bei sehr hoher Motivation entstehen können. Es kann in diesen Fällen zu einer völligen Erschöpfung des Kindes und kurzfristigen Kreislaufschwächen kommen.
Welche körperlichen Benefits haben Kinder durch Ausdauertraining?
Bewegung ist im Kindesalter ein wesentliches Element um Körpererfahrungen zu sammeln. Und Ausdauerleistungen gehören zu den physiologischen Reizen, die Kinder auch auf natürliche Weise suchen. Ein ausgeprägter Bewegungsdrang existiert bei Kindern nämlich aus genau diesem Grund: Um Bewegungserfahrungen im Verlauf der Kindheit zu gewährleisten.
Regelmäßige Belastungsreize erzielen auch schon in der Kindheit deutliche Anpassungserscheinungen des Körpers (z.B. Vergrößerung des Herzens, mehr rote Blutkörperchen, besser Kapillarisierung, …), die in das weitere Leben als eine Art Polster, als ein „Fitness-Konto“, mitgenommen werden.
Mein Rat, den ich Eltern also diesbezüglich mitgebe: Lasst die Kinder sich bewegen! Denn das ist ohnehin die Beschäftigung, die ihnen am meisten Spaß macht. 🙂
Über die Autorin:
Bernadette Hörner ist freie Sportjournalistin und Fitness-Trainerin. Als Kind unter anderem Europameisterin am BMX-Rad geworden, danach viele Jahre als Snowboard-Lehrerin tätig, hat sie im Laufe ihres Lebens in zahlreichen Sportdisziplinen Erfahrung gesammelt. Alle möglichen Bewegungsformen auszuprobieren und sich dabei jedes Mal selbst neu zu erfahren, ist bis heute ihre große Leidenschaft.
Seit Januar 2017 möchte sie auf ihrer Plattform www.sportblog.cc unter dem Motto „Entdecke deinen Sport!“ auch andere inspirieren, öfter mal Abwechslung ins Training zu bringen und neue sportliche Abenteuer zu wagen. Das Vorstellen weniger bekannter Sportarten und Fitness-Trends sowie hochwertige Expertentipps aus dem Profisport sind für die studierte Publizistin dabei zentrale Themen.
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Vielen Dank für diesen sehr fundierten Beitrag. Ich habe mich auch schon öfters gefragt, ob ich meine Jungs mal mit zum Lauftraining nehmen soll. Die Frage hat sich jetzt geklärt. Nun müssen sie nur noch wollen. 🙂