„Kindern erzählt man Geschichten zum Einschlafen – Erwachsenen, damit sie aufwachen.“ (Jorge Bucay)
Erzähl uns deine Geschichte! Inspiriert durch den tollen Erfolg von Marcus, der durch Sport und Ernährung 40kg in einem Jahr abgenommen hat, ist in unserer Facebook-Gruppe „Endlich mehr Sport“ eine neue Idee geboren. Ich werde im Ausdauerblog dich zu Wort kommen lassen – erzähl uns deine Geschichte!
Heute im fünften Teil erzählt uns Dorothe ihre Geschichte. Eine sehr traurige Geschichte, die dennoch absolut Mut macht! Es ist die Geschichte einer sehr starken Frau und sie hat es verdient, einen exklusiven Platz zu bekommen. Es ist eine Gesichte über Epilepsie…
Ich laufe, damit ich nicht untergehe – und für das Lachen…
von Dorothe Simmet
Warum ich laufe ist eher eine „traurige Geschichte„. Nicht etwa der Wunsch abzunehmen ( ich bringe gerade mal 58kg auf die Waage bei einer Größe von 1,72m). Ich brauchte einen Ausgleich zu seelischem Stress, etwas was mir hilft weiter zu funktionieren, nicht einfach die Segel zu streichen, aufzugeben und zusammen zu brechen.
Denn als ich anfing zu laufen war ich sehr nahe daran „unterzugehen“.
Ich bin 37 Jahre alt, habe zwei Kinder, einen Sohn von nunmehr fast 12 Jahren und eine 17 jährige Tochter.
Neben vielen größeren und kleineren Schicksalsschlägen, die denke ich mal jeder irgendwann hinnehmen muss, haben meine Familie und ich eine Odyssee hinter und bzw. befinden uns noch immer in einer.
Meine Tochter hatte mit drei Jahren den ersten Anfall. Einen epileptischen Krampfanfall mit Bewusstseinsverlust. Da ich schon vor dem eigentlichen Anfall erkannte, was passiert konnte ich rechtzeitig richtig reagieren, hatte schon eine Hand am Rücken meines Kindes und konnte sie so abfangen und vorsichtig auf den Boden legen.
Der Anfall dauerte gefühlt eine Ewigkeit, wobei es wohl nur 3-4 Minuten waren. Wir wurden natürlich sofort in eine Kinderklinik eingewiesen, wo man unzählige Untersuchungen machte und uns nach 2 Wochen nach Hause schickte – ohne klare Diagnose.
Man müsse das im Auge behalten und bla bla. Nachdem die Maus dann binnen eines halben Jahres sieben weitere Grand Mal Anfälle hatte, stellte man sie endlich auf Medikamente ein, die leider enorme seelische Nebenwirkungen hatten.
Lach- Schrei-Heul – regelrechte Tobsuchtsanfälle und eine Vierjährige, die total verstört sagte: „Mama ich muss schreien, aber ich will das doch gar nicht.“
Unzählige Klinikaufenthalte, LangzeitEEGs, StressEEGs und SchlafentzugsEEGs später habe ich dann – weil von den Ärtzen nie klare Aussagen kamen – begonnen, zu recherchieren. Als dann wieder ein EEG anstand, bat ich beim Arztgespräch darum mein Kind auf Valproinsäure umzustellen. Das ist für Epileptiker mit ungeklärter Epiform das was bei Grippeinfekten ein Breitbandantibiotikum ist.
Die Ärzte waren skeptisch, gingen aber dennoch, aufgrund der hohen Anfallsrate darauf ein. Damals war meine Tochter 9 Jahre alt. Seither ist sie frei von Grand-Mal-Anfällen, leidet aber nach wie vor an Aussetzern. Das heißt, sie hält plötzlich und unvermittelt in ihrem Tun inne, schaut durch alles hindurch, zeigt keinerlei Reaktion mehr, für 3-4 Minuten und weiß dann meist nicht was sie gerade am Tun war, wenn sie wieder bei sich ist.
Schlimm wurde es richtig als sie in der 7.Klasse Realschule war. ich glaube ich brauche nicht zu erklären, was Mobbing, vor allem bei einem Kind was psychisch eh labil ist anrichten kann. Immer und immer wieder habe ich Rücksprache mit der Schule gesucht, als die Maus an fing sich vom lebensfrohen, langhaarigen Lockenkopf in einen mürrischen, zurückgezogenen „Jungen“ zu verwandeln.
Es hieß immer es gäbe keine Auffälligkeiten. Auch als man begann mich alle 4 Tage anzurufen, weil mein Kind in der Schule über „Kreislaufprobleme“ klagte war nach Aussage der schule nichts auffällig. Als dann das Telefon ging und man mir sagte, man habe meiner Tochter gerade einen Krankenwagen gerufen, sie sei schon wieder umgekippt und warum ich mein Kind krank zur Schule schicken würde, bin ich auf die Barrikaden.
Ich war mit ihr bei verschiedenen Ärzten, ein medizinischer Grund für ihre „Kreislaufprobleme“ war nicht fest zustellen. Ich hatte meine Tochter natürlich auch immer wieder selbst gefragt was los sei, und auch immer „Alles ok“ zur Antwort bekommen. Doch nach der Aktion habe ich das nicht mehr akzeptiert und sie zur Rede gestellt.
Heraus kam, sie wurde gemobbt. Nicht von ein, zwei Kindern sondern von fast ihrer gesamten Klasse und das massiv. Leider wollte die Schule das nicht wahr haben, unterstellte mir sogar mein Kind unter Druck zu setzten und womöglich zu misshandeln.
Als sie nicht ganz vierzehn war kam ich dann zufällig ins Bad, als sie aus der Badewanne stieg. Ich kann meine Verstörung, Wut, Verzweiflung, Hilflosigkeit nicht in Worte fassen, die ich fühlte als ich sah, dass mein Kind sich selbst „verstümmelt“ hatte. An Oberschenkeln, Armen und Bauch war kaum ein Fleckchen heile Haut, eigentlich bestand das alles nur noch aus Narben und Kruste.
Selbstredend bin ich mit meinem Kind sofort zum Arzt, habe Hilfe gesucht, habe die Schule nochmal angesprochen, allerdings ohne Erfolg. Hilfe war Fehlanzeige, lediglich Steine legte man mir massenweise in den Weg. Meine Tochter war dann auch lange in psychologischer Behandlung. Doch auch da suchte man den Grund für ihr Verhalten wohl mehr bei meinem Mann und mir, als bei anderen Dingen. Erst als wir zur Behandlung der Epilepsie, altersbedingt von der Kinderklinik zu einem Neurologen/Psychologen wechselten, erfuhr ich, dass diese Depressionen, Zwangsstörungen und auch die Autoagressivität Teil der Epilepsie sind und nur teilweise durch das Mobbing in der Schule verstärkt wurden.
Klar ging das alles nicht an der Familie vorbei, mein Sohn ( als Kleinkind schwer krank und deshalb entwicklungsverzögert) litt enorm unter der Situation, was ihn immer weiter zurück warf. Mein Mann, der unter einem schweren Kindheitstrauma leidet und sich eh sehr schwer tut Gefühle auszudrücken war total überfordert und hat mehr oder minder dicht gemacht. Mein Umfeld hat mich in der Regel nicht wirklich verstanden. Ich war irgendwann einfach am Ende und als dann mal wieder alles zusammen kam, ich nur noch ein Häufchen Elend war und mit meinem Sohn zum HNO Atzt musste, weil er mal wieder eine Bronchitis mit hohem Fieber hatte bin ich dort regelrecht zusammen gebrochen.
Der Arzt fragte was sei, als ich plötzlich zu weinen begonnen hatte, ohne ersichtlichen Grund, nahm sich viel Zeit und hörte mir zu. Bedingt wusste er vorher schon was los ist, da ich ihn aufgrund von Untersuchungen bei meiner Tochter über die Autoagressivität und alles in Kenntnis setzten musste. Er war der Auslöser!
Wegen ihm habe ich im Grunde genommen begonnen zu laufen. Er hat mich in den Arm genommen, gesagt dass ich mega stark sei, aber man halt schlicht nicht immer nur an andere denken kann, sondern aufpassen muss sich selbst nicht zu verlieren.
Er sagte, ich solle etwas für mich tun, regelmässig und nur für mich allein, wo ich den Kopf mal frei bekommen kann. Ich habe lange überlegt wie ich diesen Rat umsetzen könnte und mir sehr schwer damit getan. Doch als ich dann Urlaub hatte, machte es klick.
Ganz spontan bin ich ins Sportgeschäft, habe mir Laufschuhe gekauft und bin losgelaufen. Zu Anfang eigentlich eher ohne Plan und Sinn – laufen bis der Kopf leer war – egal ob ungesund oder nicht. Dann bin ich über die Facebook-Gruppe „Endlich mehr Sport“ gestolpert, wurde dort total lieb aufgenommen und habe versucht nach Torstens Einsteigerplan zu laufen. Ganz funktionierte das nicht, laufen auf Zeit war nicht meines, ich habe das dann nach Gefühl gemacht mehr oder minder. Aus sinnfrei vor mir selbst und meinem „Chaos“ wegrennen wurde dann gezieltes Laufen. Dreimal pro Woche erst 5 km, mittlerweile 10 km.
Klar, meine Situation ist und bleibt schwierig, aber jetzt habe ich wieder Kraft, habe einen Weg gefunden mit dem Stress umzugehen, statt einfach daran kaputt zu gehen. Ich möchte das Laufen nie wieder missen! Mitunter deshalb kommt bald, wenn ich mir über den Hintergrund klar bin, ein Spruch auf meine rechte Wade :
„I don´t run because I love the feeling of runnig. I run because it makes me love the feeling of living.“
Und mittlerweile laufe ich nicht mehr rein zum Stressabbau, sondern weil ich gemerkt habe wie gut es mir allgemein tut, mein ganzer Gesundheitszustand hat sich sehr verbessert und ich fühle mich einfach gut.
Zudem ist meine Tochter mittlerweile 17 Jahre alt, auf einem echt guten Weg, auf einer neuen Schule (nach super Realschulabschluss jetzt 10.Klasse Gymnasium) wo sie sehr gut aufgenommen wurde von der Klassengemeinschaft und auch die Kommunikation zwischen Schule und Eltern passt.
Das Laufen hat mir geholfen mein seelisches Gleichgewicht wieder zu finden, ein Stück weit auch mich selbst wieder zu finden, denn teilweise hatte ich nur noch andere im Blick und mich total hinten an aus den Augen verloren.
Wer sich selbst verliert, verliert das Wichtigste im Leben, das Lachen. Heute kann ich wieder lachen, laut, freudig und vor allem von ganzem Herzen!!!
Nachfolgend findet sich eine Geschichte, mit der ich versucht habe vieles zu verarbeiten, und die ich meiner Tochter 2011 zum Geburtstag geschenkt habe.
Das Mädchen und der schwarze Mann
Sie hat die bewundernswerte Eigenschaft, selbst an den Menschen, die sie immer wieder ärgern und hänseln noch etwas Gutes finden zu können.
Ganz ohne zu fragen, ob seine Anwesenheit erwünscht ist, hat er sich einfach an die Fersen des Mädchens geheftet und folgt ihr seitdem auf Schritt und Tritt.
Ja, selbst wenn der schwarze Mann wieder einmal ganz schlechte Laune hat und sie zwingt, ihren Kopf immer und immer wieder zu heben, nur um ihn dann mit aller Kraft auf den Boden zu schlagen, ist sie von Dunkelheit umfangen.
Ganz verschwommen ist dann die Welt, die Jenny umgibt. Das Licht reicht dann gerade noch so weit, dass sie ihre unmittelbare Umgebung erkennen kann. Oft weiß sie im ersten Moment gar nicht so genau, wo sie sich gerade befindet. Zu unklar sind die Konturen, zu entfernt klingen die Geräusche – wie durch Watte nimmt sie ihre Welt wahr.
Die Stimme überschlägt sich mehrfach, bis das Mädchen endlich die Augen aufschlägt und den Kopf hebt. Ihr ist dann übel, und alles dreht sich, als wäre ihre Welt plötzlich ein Brummkreisel.
Wie oft fühlte ich mich wie gelähmt und konnte nur hilflos zusehen, wenn der schwarze Mann seine gierigen, schmierigen Griffel nach ihr ausstreckte.
Die anschließende Fahrt ins Krankenhaus schien nicht enden zu wollen, genauso wenig wie die unzähligen Untersuchungen, Blutentnahmen, Tests, Arztgespräche und schlaflosen Nächte.
Erst nach gut zwei Jahren, etlichen weiteren Anfällen, unzähligen Klinikaufenthalten, EEGs, Schlafentzugs-EEGs und weiteren Untersuchungen brachte ein Dauerbelastungs-EEG, welches direkt im Anschluss an einen Schlafentzug gemacht wurde, eine etwas genauere Diagnose. Man konnte den Epilepsietyp näher bestimmen, doch die genaue Form ist bis heute nicht bekannt.
Wenn sie nach einem Krampfanfall das Bewusstsein wiedererlangt, hat sie an das eigentliche Geschehen keine Erinnerung. Sie weiß dann nur, dass etwas vorgefallen ist und beschreibt dieses etwas als den schwarzen Mann.
Allein über die Begegnungen mit solchen Menschen könnte ich mittlerweile ein ganzes Buch schreiben. Doch selbst davon hat sich mein tapferes Mädchen nicht unterkriegen lassen. Im Gegenteil, sie hat hocherhobenen Hauptes gesagt: „Ich bin nicht dumm, ich bin nicht böse, ich bin nicht schlechter als die anderen. Ich bin halt nur ein kleines Bisschen anders als die.“
Ich habe in den letzten Jahren sehr viel von diesem lebensfrohen, bewundernswert mutigen Menschenkind gelernt und bin verdammt stolz darauf, so eine tapfere, starke Tochter zu haben.
Warum wolltest/willst du mehr Sport machen? Was waren/sind deine Beweggründe? Hast du dein Ziel erreicht und welche Hindernisse lagen auf dem Weg? Was hat dir geholfen, was hat dich inspiriert? Erzähle deine Geschichte!
Wenn auch du an der Aktion teilnehmen möchtest, dann sende mir eine E-Mail mit deiner Geschichte und mindestens einem Foto an topre@ausdauerblog.de
Endlich mehr Sport – erzähle deine Geschichte
- Teil 1: Marcus und Yvonne haben zusammen sage und schreibe 80kg abgenommen.
- Teil 2: Slinka erzählt von ihrem Sieg über sich selbst, Michael hat eine Laufgruppe gegründet, um seine Leidenschaft mit anderen zu teilen und Steffi berichtet von den Tücken des Jojo-Effekts.
- Teil 3: Margot entdeckt das Laufen, Tine eifert ihren Bruder nach und Mario stellt sich dem Kampf gegen eine sehr schwere Krankheit
- Teil 4: Jeanette erfüllt sich ihren Traum und Jörg kämpft mit Unter- statt Übergewicht
- Teil 5: Dorothe hat eine traurige Geschichte, die jeden Mut macht, der sich in schwierigen Lebensphasen befindet
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Über den Autor: Torsten Pretzsch
Ich bin 2008 von der Couch aufgestanden, um ein sportlicheres Leben zu führen. Begonnen mit einer Laufrunde von 15 Minuten, lief ich Jahre später Marathon und absolvierte einen Ironman.
Mit dem ausdauerblog möchte ich meine Vision verwirklichen, über 50.000 Menschen dauerhaft zum Laufen zu bringen.